Der Tag neigte sich dem Ende zu.
Die Sonne hatte sich wieder den filzigen Wolkenhut aufgesetzt, der Wind, der am
Morgen noch ein Kitzeln war, pfiff nun wieder Marschmusik durch die Ritzen des windschiefen
Hauses auf dem Erdhügel, und statt Limonade mit Eis trank die Madame vom Hafen
Kaffee mit Zucker. Auf dem Teppich vor ihr lag Herr Katzenmann, ihr Mitbewohner-Kater,
und leckte sich die Eier. Nun, zumindest sah es so aus.
Mimi beobachtete den alten Herrn
im Pelz und dachte, dass die Geräusche, die er von sich gab, schön heiser und
schmatzig klangen. Herrn Katzenmanns Schamlosigkeit war einzigartig. Wie er da
rücklings mitten in der guten Stube lag und sich unter Keuchen die Kronjuwelen
schleckte… ein Seufzer tropfte aus Mimis rechtem Mundwinkel. Porno. Punk. Fast
schon Anarchie.
„Wäre die Schamlosigkeit des
Katers ein Kuchen, ich würde mir gern ein Stückchen davon abschneiden, es
zerkrümeln und über mein wohlerzogenes Seelchen bröseln, das sich so gern
hinter Etikette und verhuschtem Liebreiz versteckt“, sinnierte Mimi vor sich
hin.
„Meine Schamlosigkeit wäre
grenzenlos. Schamlos und verschwenderisch würde ich mit Gefühlen um mich
werfen, würde jedem Menschen, der mein Herz höher schlagen lässt, meine Liebe
gestehen, mein Herz für einen einzigen geraubten Kuss verscherbeln und
verschachern, würde mich nicht der Krokodilstränen schämen, die manchmal aus
den Edding-Augen tropfen und aus mir einen Emo-Waschbären machen.
Schamlos schamlos wäre ich. Würde
meine Perversionen ausleben, meine Fetische zelebrieren, Mädchen lieben, Knaben
küssen, Orgien feiern, Pornostarlet und Spielzeug sein, Nutte, französisches Au-Pair-Mädchen, Hündchen.
Ich wäre schamlos scheiße. Würde
dem Mädchen mit den Kulleraugen den Erdbeerlolli aus der Hand klauen und der
Kulleräugigen dann die Zunge rausstrecken. Würde mit den Wimpern klimpern und
dabei auf blutigen Spitzenschuhen über Leichen tanzen, um schneller an mein
Ziel zu kommen.“
Die Madame legte den Zeigefinger
auf die Lippen und machte „Hm.
Schamlos ehrlich wäre ich nicht,
dazu lüge ich zu gern. Aber jede Sünde würde ich
bis zum Kotzen ausreizen, wäre hochmütig und eitel, raffgierig, rachsüchtig und
maßlos, bis ich mich irgendwann selbst in die Luft jagen würde, weil ich es
keine Sekunde länger mit mir aushielte.“
Herr Katzenmann hatte sich
inzwischen neben seine Mitbewohnerin gesetzt und glotzte sie mit
Schlafzimmeraugen an.
„Hast du dir grad eigentlich die
Eier geleckt, Herr Katzenmann?“
„Nein“, fauchte dieser beleidigt.
„Schon mal was von Körperpflege gehört?“ Abfällig mustert er Mimis abgekaute
Nägel mit dem abgesplitterten Nagellack darauf.
„Du bist ja kastriert. Du hast gar
keine Eier mehr!“ Mimi lachte laut auf.
Ganz langsam drehte Herr
Katzenmann sich zu ihr um, so nah, dass seine Schnurrhaare Mimis Nase kitzelten.
Dann fetzt er ihr mit einem Schlag die Krallen ins Gesicht. Die Hafenmadame
schrie auf. „Du Drecksvieh! Ich blute!“
Und während sie ihm zeternd die
Pest an den Hals wünschte, stolzierte der alte, bepelzte Herr mit hoch erhobenem
Schwanz von dannen. Als er majestätisch um die Ecke bog, hörte Mimi ihn lachen. Schamloses Biest.