Mimis säuselnde Liebschaft. <3 |
Mimi hatte nicht vergessen, wann sie Marlene zum ersten Mal über den Weg gelaufen war. Vor zwei Jahren war das gewesen, in einer Winternacht, die so kalt gewesen war, dass aus Mimis Nase Eiszapfen aus Rotze gewachsen waren.
Sie wusste auch, dass Marlene gar nicht Marlene hieß. Aber sie hatte sich diesen Namen immer vorgestellt, wenn sie der Unbekannten mit der schönen Visage gelauscht hatte. Auf ihrem Kopf trug Marlene ein Durcheinander aus schwarzen und roten Schlangen, die giftig zischten und je nach Wetterlage Touristen und vorbei eilende Passanten beschimpften. Mimi vermutete, dass der Name der Fremden wohl Medusa sein müsse, fand Marlene aber passender.
Die Schlangenfrau war eine Geschichtenerzählerin. Sie machte das beruflich. Jeden Abend fand man sie in der Wirtschaft „Zur roten Latüchte“. Dort lagen sie und ihre ordinären Schlangen verführerisch drapiert auf dem Canapé, tranken Schnaps und Likör und erzählten Märchen. Die Schlangen übernahmen die Rollen der Statisten, während Marlenes Stimme über allem schwebte. Wie eine Rauchwolke, nein, ach, wie eine Hauchwolke.
Jeden Abend war Marlene umringt von Matrosen und Bordsteinschwalben, die von der Tagschicht auf einen Kurzen in die Latüchte kamen. Oh, wie die Märchenerzählerin sich suhlte in dem Meer aus aufgerissenen Mündern und perversen Gedanken, in denen sie die Hauptrolle spielte.
Manchmal waren sich ihre Blicke begegnet und Mimi hätte am liebsten die Zeit angehalten. Aber dann hatten sie viele, viele kleine schwarze Knopfaugenpaare angeglotzt und winzige Mäuler hatten lautlos bösartige Drohungen ausgestoßen. Jedesmal hatte Mimi sich von den eifersüchtigen Schlangen auf Marlenes Kopf ins Bockshorn jagen lassen. Sie konnte ja so ein Hasenfuß sein und Schlangen essen bekanntlich Hasenfüße.
Trotzdem: Seitdem Mimi Marlene zum ersten Mal gesehen hatte, kam sie so oft wie möglich in die Wirtschaft. Dann setzte sie sich in eine dunkle Ecke und zog die Märchenerzählerin in Gedanken aus.
So auch heute. Marlene berichtete mit schwerer Zunge von ihren Erlebnissen in der großen Stadt, von Koksnächten und sadistischen Männern, säuselte schlimme Dinge wie „Fotze“ und „Schwanz“ und „in die Fresse kotzen“, und Mimi kicherte jedes Mal verlegen. DAS hätte sie sich nicht getraut, sie war hingerissen von soviel Chuzpe.
Während die schöne Schlangendame so redete und lieblich lallte, fasste Mimi einen Entschluss. Sie hatte die Schnauze voll davon, die Fremde heimlich anzuhimmeln, sie musste etwas unternehmen.
„Und wenn sie nicht gestorben sind, ficken sie sich noch heute mit gefrorenen Aalen in die Ärsche“, endete Marlene ihren Vortrag. Mimi seufzte. Wie schön die alles formulierte… Als die Zuhörermenge sich lichtete, stöckelte sie zum Canapé, räusperte sich und sagte:
„Hallo.“
„Guten Abend“, sagte Marlene. „Kann ich etwas für dich zu?“
„Ja.“ Mimi fühlte die eisigen Blicke der Schlangen, sah sie aber nicht an. Dann reichte sie Marlene eine Plastiktüte und bat sie: „Kannst du die mal aufsetzen? Nur kurz.“
Die Erzählerin zog die Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn, tat dann aber, worum sie gebeten worden war. Die Schlangen rissen die Knopfaugen auf, zischten in Todesangst, manche schrien „Du hast sie ja wohl nicht mehr alle“, dann verstummten die Stimmen unter dem Knistern.
„Ich seh ja wohl schön bescheuert aus.“ Marlene lachte. „Und jetzt?“
„Jetzt pass mal auf!“ Und dann nahm Mimi Marlenes Gesicht in ihre Hände und küsste sie auf den Herzmund, während die Schlangen unter der Tüte beleidigt vor sich hin pöbelten.
Und hier gibt's die wunderschön verstörenden Märchen der Schlangenfrau...
Liebeserklärungen sind was Feines. Gut
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