ihr.

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Dienstag, 22. Februar 2011

mademoiselle miau und das kleine häufchen stolz.

Mademoiselle Miau wohnte in einer uralten, von Holzwürmern zerfressenen Villa am Stadtrand. Der Weg dorthin führte durch eine dunkle Allee, gesäumt  von schlecht gelaunten Linden, die Tag und Nacht vor sich hin grummelten und fluchten.
„Hallo, ihr dummen Bäume!“, rief Mimi gut gelaunt, als sie unter dem raschelnden Blätterdach ihres Weges schritt. Sie war mit dem Mademoisellchen zu Kaffee und Kuchen verabredet und freute sich sehr darauf. Die Bäume links und rechts von ihr murmelten Unflätiges, aber das störte Mimi nicht.
Vor dem Haus, einem riesengroßen, grauen Kasten, blieb Mimi kurz stehen. Sie schob ihr Kleid ein wenig hoch, richtete die Strümpfe, kniff sich in die Wangen, damit sie zart rot leuchteten und atmete tief durch. Dann klopfte sie an.
Als Mademoiselle Miau die Tür öffnete, konnte sich Mimi ein leises Quieken nicht verkneifen. Herrje, war die schön! Viel schöner noch als das verschwommene Bild, das Mimi seit ihrer Kennenlernnacht im Kopf hatte. Sie waren beide an diesem Abend schrecklich betrunken gewesen und hatten sich mit schweren Zungen ihr Liebesleid geklagt. Als der Morgen graute, hatten sie sich mit tränennassen Mädchenaugen voneinander verabschiedet und geschworen, sich ganz bald wiederzusehen.
Nun stand da diese Schönheit vor ihr, mit schwarz glänzendem Haar, kunstvoll gelockt, gekringelt und gekräuselt, mit hellen, wachen Raubtieraugen und einer Haut , so weiß wie die milchigste Milch, so weiß wie Milch mit Milch und Zucker. Sie trug ein rotes Kleid und Schühchen aus Lack. Die Damen sahen sich an, begrüßten sich höflich und mit Wangenkuss, und Mimi dachte, dass das Mademoisellchen bestimmt genauso verlegen war wie sie selbst. Es biss sich so verdächtig häufig auf die Lippen.
„Darf ich eintreten?“, fragte Mimi vorsichtig.
„Verzeih, natürlich, komm herein!“ Mademoiselle Miau kicherte verlegen. Dabei bedeckte sie den Kirschmund mit einer Hand, ganz züchtig. Sie erinnerte Mimi an eine Geisha, so wohlerzogen und verhuscht sah sie aus. Mimis behandschuhte Finger strichen sanft über ihren Hals, sie wünschte sich, es wäre der Hals der Mademoiselle. „Ich will sie haben“, dachte sie, während sie der Gastgeberin in einen Salon folgte, der ganz in lilafarbenen Samt gekleidet war. So etwas Elegantes hatte sie noch nie gesehen. Die Wände waren gepolstert, vor den Fenstern hingen schwere samtene Vorhänge, der Boden war mit Teppichen bedeckt. In der Mitte des Raumes, unter dem diamantenen Lüster, war ein Festmahl vorbereitet: Umringt von Kissen in Beerenfarben lag da eine Decke, auf der in Schälchen, Pokalen und auf Étagèren die süßesten Köstlichkeiten darauf warteten, in gierige Münder gestopft zu werden. Schokoladen, Pralinés, gefüllt mit Likör und Erdbeerschnaps, gezuckerte Äpfel, kleine Kuchen, überzogen mit Zuckerguss in allen Regenbogenfarben, verziert mit Perlen und kandierten Früchten. Auf einer Bank daneben dampften Kaffee, Tee und heißer Kakao in nachthimmelblauen Kannen.
„Das ist alles für uns???“ Mimi mochte es nicht glauben, diese in Honig und Sirup getauchte Dekadenz raubte ihr den Atem.
„Was denkst du denn? Natürlich“, lachte Mademoiselle Miau da, ergriff Mimis Hand und zog sie hinter sich her in die Kissenpracht. Zunächst war die Unterhaltung zurückhaltend, sie waren einander ja eigentlich Fremde. Doch mit jeder in Schokolade getauchten Himbeere sanken die Damen tiefer ins Weiche, Samtige, wurden die Gespräche vertrauter. Wie die Madame vom Hafen litt auch Mademoiselle Miau an gebrochenem Herzen. Ein böser Mann, in ihrem Fall war es ein Kapitän, nutzte ihre Schwäche aus, trampelte auf ihrem Herzen rum, als sei es ein alter Fußabtreter. Von ihrem Stolz sei nicht mehr viel übrig, nur noch ein trauriges Häuflein Irgendwas, das noch dann und wann aufglimmte, aber sonst nicht mehr zu gebrauchen war.
Mimi spitzte die Ohren. „Soso“, sagte sie. Als Mademoiselle Miau eine Flasche Rum hinter dem Bänkchen hervorzog und zwei kristallene Gläser mit dem guten Gift füllte, wurde Mimi mutig. Sie nahm das Glas, das die Mademoiselle ihr reichte und nahm einen großen Schluck, den sie im Mund behielt. Dann setzte sie sich rittlings auf den Schoß der Mademoiselle, sah sie an und öffnete den Mund. Der Rum floss aus ihr heraus, über ihre Lippen, den Hals, hinein in ihr Dekolleté. Die andere sagte nichts, starrte nur. „Leck es ab“, befahl Mimi da und augenblicklich tat die Schönheit, die mit Prunk und Pomp per du war, wie ihr geheißen. „Sie kennt das Spiel, wie schön“, dachte Mimi und war angetan von dem Gedanken, dass kein Damenstolz sie daran hindern würde, zu tun, woran sie seit Betreten des Hauses gedacht hatte.
Dann spielten sie. Die Mademoiselle erfüllte alle Wünsche der Madame, sang mit Sirenenstimme ein Schlaflied, während Mimi Miaus rotes Kleid zerriss, um zu sehen, was sich darunter verbarg, ließ sich mit Törtchen und Zuckerguss vollstopfen, bis sie darum bettelte, erlöst zu werden. Sie trank Sirup aus Mimis Mund und ertrug eine Ohrfeige für jeden Tropfen, der daneben ging. Als Mimi auf die Idee kam, einen Spaziergang zu machen, ließ sie sich ohne Knurren das Hundehalsband anlegen und krabbelte brav auf allen Vieren neben ihrem neuen Frauchen her.
Als es draußen dunkel wurde, hatte Mimi genug vom Spielen. Sie schloss die Mademoiselle in ihre Arme und strich ihr die in Unordnung geratenen Kringellocken aus der Stirn. Mademoiselle Miau schnurrte leise.
„Sag“, fragte sie, „wie ist es dir mit dem Schauspieler ergangen?“
„Ach, frag nicht. Er spielt mit mir, als sei ich seine Marionette. Und ich lasse es auch noch zu.“
„Aber warum? Das passt doch gar nicht zu dir.“
„Verrate es keinem, aber neulich hat er meinen Stolz zur Tür heraus gejagt.“
„Miau“, sagte da die Mademoiselle und ihre Mandelaugen funkelten wie blank polierte Messer, „lass uns etwas spielen…“









Montag, 21. Februar 2011

blutrot.

Im Zimmer war es warm, aber ihre Hände waren kalt. Sie streifte die ledernen Handschuhe ab und betrachtete ihre Finger. Es waren Kinderhände, plump und speckig und krumm. Die Nägel waren abgekaut und dreckig, bemalt mit liebesapfelroter Farbe, die abgesplittert war. Die Zeigefinger waren im Laufe der Zeit zu fleischigen Klumpen geworden, auf denen die Nägel nur noch zu erahnen waren.
Mit leerem Blick führte Mimi den Zeigefinger der rechten Hand zum Mund, strich damit über die zarte Haut. Ganz rau fühlte sich das an, es kratzte. Sie schloss die Augen. Dann biss sie hinein, so fest, dass es schmerzte. Sie drehte den Finger zwischen ihren Lippen hin und her und nagte und nagte, wie ein Hund auf einem Suppenknochen herumkaut. Nach einer Weile begannen ihre Zeigefinger zu bluten, die waren über all die Jahre sehr mitgenommen, aber sie bemerkte es nicht. Alles, was sie dachte, war:
„Eines Tages werde ich es nicht mehr flicken können. Eines Tages wird es nicht mehr funktionieren.“
Und während sie ihre Finger blutig biss und die salzigen Tropfen, die aus ihren Augen fielen, sich mit der roten Suppe vermischten, war alles, was sie fühlte, die Angst, ihr Herz könne stehenbleiben.

Freitag, 11. Februar 2011

liebeskummer macht flecken.

Manchmal hätte Mimi sich für ihre Dummheit ohrfeigen mögen. Sie war doch nicht blöde, warum passierten ihr immer wieder dieselben Fehler?

Zuerst war da der Matrose gewesen, ihre eine, große Liebe. Für ihn wäre sie einst um die ganze Welt gewandert, nackt und auf Stöckelschuhen. Als sie sich in ihn verliebte, war sie unschuldig, da war keine Sehnsucht nach dem Bösen, die ihr Leben zerfraß, sie wollte nur ihm gehören. Wenn er sprach, war sie ganz Glotzaugen und Staunemund, ganz klopfendes Mädchenherz. Dann war er fortgegangen, ohne eine Erklärung, ohne ein „Verzeih mir.“ Davongestohlen hatte er sich und es hatte ihn nicht gekümmert, was aus ihr werden würde ohne ihn. In der Nacht, in der Mimi bewusst wurde, dass der Liebste nie wiederkehren würde, war sie verrückt geworden. Sie war eingeschlafen, und als sie erwachte, war alles anders. Aber das war eine andere Geschichte.
Hier, im Hafen, in diesem ewig dunklen Kosmos mit dem Ölhimmel, an dem statt Sternen rostige Nägel prangten, hatte sie sich oft einsam gefühlt. Hier war es immer kalt, die Augen der Matrosen waren matt, die ihrer Liebchen noch matter. Viele Menschen hatte sie hier getroffen, das Plastikmädchen, den alten Kater Herrn Katzenmann, die Schlangenfrau, den Boxer, der ein Poet war, den Förster aus dem Metzel-Wald und Erich, seinen Zombiedackel. Sie war selten allein, ging jede Nacht aus, hatte an jedem Finger ihrer verkrüppelten Hände, die sie Tag und Nacht unter ledernen Handschuhen versteckte, zehn Galane. Aber ihr Herz, das blieb trotzig und eisig.
Bis sie den Schauspieler traf, den mit dem Hut. Vom ersten Moment an war sie ihm verfallen.
„Ich liebe ihn“, hatte sie nach dem zweiten Rendez-Vous, das nicht mehr als ein flüchtiges, verschwitztes Stelldichein war, gedacht. Gesagt hatte sie es nie.
„Liebst du mich, Madame Mimi vom Hafen?“ fragte er immer wieder.
„Nein“, antwortete sie stets, senkte den Blick und schluckte den Schmerz hinunter. Sie wusste, dass er sie quälen wollte. Ihre Hilflosigkeit machte ihn stark. Er genoss die Macht, die er über sie hatte, über diese Diva, mit ihren roten Lippen, dem gelangweilten Blick und dem rabenschwarzen Haar. Mimi war die Madame vom Hafen, jeder kannte sie. Eines Tages war sie aufgetaucht, einfach so, woher sie kam, wusste niemand. Bevor sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte er jede Geschichte, die sich das Hafenvolk über sie zuraunte, gesammelt, ihre Begegnung war kein Zufall gewesen. Doch das würde auf ewig sein Geheimnis bleiben.
In seinen Händen wurde sie zu einem lächerlichen Kind, zu einer Süchtigen, die er mit schimmeligen Zuckerbrotkrümeln füttern konnte, die seine Launen ertrug, seine Perversionen teilte, die ihn anschrie, anspuckte, wenn ihr in klaren Momenten bewusst wurde, dass sie nichts als sein Spielzeug war. Er liebte sie, anders aber als sie ihn. Diese Liebe hatte nichts Schwärmerisches, nichts Liebliches. Sie war dunkel und böse und trug einen Hut, der aus alten Reitgerten und eitrigem Schorf gestrickt war. Und doch brauchte er sie. Mimi war genauso wahnsinnig wie er.
Wenn er nach einer Nacht mit dem lasterhaften Wesen heimkehrte zu der Frau an seiner Seite, fühlte er sich gut, niemals schuldig. Mimi vom Hafen war seine Sucht, sie war eine Krankheit, gegen die kein Kraut gewachsen war. Anders als seine Frau forderte Mimi alles von ihm. Wenn ihr etwas fehlte, kreischte sie es in seine Ohren, bis er fürchtete, taub zu werden. Er musste sich vor ihr schützen, er durfte ihr nicht verfallen. Was half da besser als ofenwarme Heimeligkeit, der Duft frisch gebackener Plätzchen, als dieses Biedermeiersträußchen aus Anstand und jahrelanger Freundschaft, die ihn daheim erwartete? Nur so konnte er sich gegen dieses Fieber schützen, das ihn beizeiten befiel. Mimi verstand von diesen Dingen nichts. Mit offenen Armen rannte die Madame ins Unglück, schüttelte seine Hand und begrüßte es mit einem freudigen „Hallo Unglück, wir haben uns aber lange nicht gesehen!“ Sie war ein Trottel und das gefiel ihm. In einer anderen Welt hätten sie einander Gefährten sein können. Aber nicht hier, im Hafen gab es so etwas nicht.
Seine Frau, eine Dame mit gelbem Haar und guter, treuer Seele, ahnte nichts von all dem. Aber er war ja schließlich Schauspieler, ein sehr guter noch dazu. Des Nachts hingegen sehnte er sich nach Mimi, nach ihrer bunt bemalten Puppenhaut, ihrer Kinderstimme, nach diesen bizarren Sehnsüchten, die sie nur mit ihm teilte. In diesen Momenten wünschte er sich, er könne sie so lieben wie sie ihn.

Sie hatten sich geliebt. Nun lag sie hier, nackt, frierend in den nassen Laken, die nach ihm rochen. Mimi weinte. Er hatte sie auf die Stirn geküsst, bevor er gegangen war. Sie sah sein Gesicht vor sich, vor Geilheit zu einer hässlichen Fratze verzogen, hörte ihn keuchen, ihn  flüstern „Liebst du mich, Mimi?“
„Ja!“, brüllte sie nun in den leeren Raum. „Ja, ich liebe dich!“ Dann presste sie ein Kissen auf ihren Mund und schrie, so laut sie konnte. „Du bist nicht gut für Mimi, Schauspieler“, murmelte sie, als ihre Stimme heiser gebrüllt war. „Du wirst gehen müssen, ich habe keine Kraft mehr.“
Sie sah aus dem Fenster, hörte die Stimmen der Matrosen, die den Huren nachpfiffen, das Wasser, das unruhig war. Mit einer ihrer behandschuhten Hände fuhr sie sich durchs Haar, ordnete es und steckte es zu einem Knoten in ihrem Nacken zusammen. Auf wackligen Beinen ging sie langsam auf den Spiegel zu, der an der Zimmertür angebracht war und betrachtete sich. Die Nächte mit dem Schauspieler hatten Spuren hinterlassen, blaue Flecke, Kratzer, kleine Wunden, an ihrem Hals eine Narbe. Sie trat noch einen Schritt näher an den Spiegel heran, bis ihre Brüste das Glas berührten und sie zusammenzuckte. Aus dem Spiegel heraus sah Mimi sich an.
„Wir wollen ihn nicht mehr“, sagte ihr Ebenbild und sah sie flehend an.
„Doch, ich will ihn.“ Nervös trat sie von einem Bein aufs andere.
„Aber er macht uns unglücklich!“
„Nein, das ist nicht richtig. Er macht mich glücklich, er ist doch mein Liebster.““
Das Ebenbild lachte irre. Dann hielt es inne und sprach: „Wir brauchen ihn nicht. Schick ihn weg, bitte! Bitte schick ihn weg!“
„Du sollst nicht betteln“, befahl Mimi. Ihre Stimme klang tiefer, wenn sie wütend wurde und das Gerede ihres Spiegelbildes machte sie wütend. Sie sah sich in die Augen, legte ihre Hand auf das Glatte, Kalte vor ihr und leckte die Tränen vom Gesicht der Madame, die sie anstarrte. Sie hatte ja recht. Sie wollte zur Ruhe kommen, sie brauchte das so sehr.
„Ich verspreche es dir. Niemand wird uns mehr unglücklich machen. Wir werden uns von ihm trennen. Aber es wird nicht leicht sein.“
„Du musst ihn auslöschen“, sagte die andere da.
„Ja, vielleicht.“
Als sie das gesagt hatte, drehte sie sich um, ging zurück zum Bett, ließ sich hineinfallen und wickelte sich ganz fest in die Laken. Dann weinte sie, bis sie endlich einschlief. Am nächsten Morgen, als sie aus einem traumlosen Schlaf erwachte, fühlte es sich an, als sei sie zum zweiten Mal wahnsinnig geworden.
Das war natürlich ein Trugschluss, niemand kann das, zweimal wahnsinnig werden. Dennoch wünschte sich Mimi, dieses Gefühl würde schnell vergehen, es war sehr unangenehm und kribbelte an den unmöglichsten Stellen. Außerdem musste sie bei Sinnen sein, um den Schauspieler mit Hut auszulöschen. Später im Kaufladen entschied sie sich gegen das Auslöschen und für das Ausradieren, kaufte Berge von Radiergummis und verbrachte den Tag damit, sich jeden Gedanken an den Mann aus dem Leib zu rubbeln.
Leider klappte das nicht. Hätte ihr das mal einer vorher gesagt.



Freitag, 4. Februar 2011

verschraubt.

an manchen tagen erwachte mimi mit einem gefühl, als hätte man ihren kopf über nacht in einen schraubstock gezwängt. nun, meist war dem auch so. "wenn ich rauskriege, wer das schon wieder war!", dachte die madame, während sie sich aus der verschraubten lage befreite.

ich.

Mein Bild
Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.