Knack-knack-knack, machte es, als Mimi den letzten ihrer
krummen Fingernägel bis auf die Haut abbiss. Es war eine dumme Angewohnheit,
die sie nie hatte ablegen können. Doch wollte sie das auch gar nicht, es gab
Wichtigeres zu tun.
Sie schnipste sich mit den abgekauten und verformten Klauenfingern
gegen die Stirn.
„Warum kannst du nie sagen, was du denkst oder fühlst?“, hatte am
Morgen der Mann gefragt, mit dem sie des Nachts das Bett geteilt hatte. „Ich habe
keine Ahnung, was in dir vorgeht und das macht es mir schwer, dich
einzuschätzen“, setzte der Mann nach.
„Ich möchte nicht eingeschätzt werden“, antwortete Mimi da.
Dann kletterte sie nackt aus ihrem Bett, denn es war ein sehr hohes Bett, ging
zur Tür, öffnete sie und sagte „Geh.“
Der Mann, der sich hilflos fühlte, da er Mimis
zusammengezogene Augenbrauen als Einladung zum Faustkampf missverstand, sprang
vom Bett, zog Hose und Pullover an, nahm Schuhe und Mütze, blieb vor Mimi
stehen, sah sie an, schüttelte traurig den Kopf und verließ Mimis Haus.
Doch Mimi wollte nicht kämpfen. Schon gar nicht mit Fäusten. Am liebsten hätte sie
losgeheult. Dem Mann gesagt, dass es keine gute Zeit für verrückte Hafenmadames
war. Dass das Ersatzherz ihr an manchen Tagen wehtat, einfach so, grundlos, es
war ja ein solch melancholisches Ersatzherz. Der Kopf tat auch weh, immer tat
der weh. Sie wollte sich in die Arme des Mannes drücken, ihr Gesicht verstecken
und dann an seine Brust gepresst murmeln, dass sie rastlos war, so rastlos,
dass es sie noch verrückter und blöder machte als sie es ohnehin schon war. Sie
wollte ihm sagen, dass sie nicht mehr schlief, weil sie Albträume hatten, dass
sie nur heulen konnte, wenn sie allein war. Und dass sie sich wünschte, auf der
Stelle tot umzufallen, wenn das Schlechte und Traurige vor anderen aus ihr
herausbrach, sie bittere, doofe Tränen vertropfte und alle es sehen konnten.
Wie schrecklich unangenehm das war, das konnte sich niemand vorstellen.
Denn sie war ja nicht nur eine Madame, sondern auch ein
Soldat. Nein. Ein tapferer Matrose, der vor nichts Angst hatte. Und der
Schwäche nicht duldete in seinem Leben. Schwäche war nämlich scheiße. Und
Rumheulen war es erst recht. Sie war so viel lieber ein verstockter Knochen, aus dem niemand schlau wurde als
eine dieser weinerlichen Miezen, die aus jedem Rohrbruch einen Weltuntergang
machten.
Und was half es schon, wenn andere wussten, wie es in ihr
aussah? Gar nichts half das, denn man kann sich bekanntlich nur selbst helfen.
Vielleicht erleichterte es das Herz, das war aber auch schon alles. „Brauchen
wir nicht, so eine dumme Herz-Erleichterung“, dachte Mimi da erbost und
schnipste sich so fest gegen die Schläfe, dass es schmerzte.
Vielleicht sollte
sie nicht mal über ihr Innendrin schreiben, denn das verriet viel über
sie, mehr, als ihr manchmal lieb war. Aber das Drüber-Schreiben war, anders als
das Drüber-Sprechen, unbedingt notwendig. Sonst würde ihr der Kopf vor
klumpigem Gedankenbrei eines Tages noch platzen. Und das wäre schade. Sie mochte ihren
Kopf, der saß so schön stolz auf ihren bunten Schultern.
Mimi sah in den Spiegel, der an der Wand vor ihr hing. Zwei
Linien rahmten ihren Mund ein. Sie fand, dass sie alt aussah. Und ein
bisschen geheimnisvoll. Denn jeder konnte sehen, dass dieser Mund nichts
verraten würde, dass er Geheimnisse bewahren konnte, am besten die eigenen.
„Wir möchten nicht eingeschätzt werden, nicht wahr?“, fragte
Mimi ihr Spiegelbild.
„Doch, das möchten wir, du dumme Kuh“, antwortete das
Spiegelbild da. „Uns geht das Verschlossensein gehörig auf den Keks.“
„Schnauze!“, keifte Mimi da, nahm ein großes wollenes Tuch
aus der Kommode und warf es über den Spiegel, so dass ihr verweichlichtes Ebenbild
nicht mehr zu sehen war. Während sie das tat, wusste sie, dass es falsch war.
„Wie gern würd ich eingeschätzt werden“, sagte sie leise in
ihren Kopf hinein.
Dann schüttelte sie sich, sprang dabei dreimal auf und ab,
setzte sich auf den Boden, der aus alten Holzplanken gemacht war, und
überlegte, was sie zum Abendbrot essen sollte.