Es war eine Nacht im Dezember. Vielleicht auch schon ein Morgen, damals, in der echten Welt vor vielen, vielen Jahren, als Mimi es gerade so schaffte, den Schlüssel ins Schloss ihrer Haustür zu stecken und ihn umzudrehen, bevor sie über die Schwelle stolperte, dabei irgendwie die Tür hinter sich zuriss, und der Länge nach auf die Holzdielen schlug. Schön aufs lippenstiftverschmierte Schandmaul.
Obwohl der Boden unter ihr eisekalt war und die Madame, die damals noch ein Mädchen war, die blauen Flecken auf Beinen und Bauch wachsen fühlen konnte, musste sie lachen. Dann kotzen und spucken, dann wieder lachen, mit den Haaren in der Pfütze aus Ekelsuppe mit Brocken.
Mimi drehte sich auf den Rücken, glotzte mit glasigem Blick zur Decke und dachte an die vergangenen Stunden, daran, wie sie und Henriette in dieser Kaschemme getrunken und getanzt, vor allem aber getrunken hatten. An Henriettes Vinyl-Lippen, die nass vom Wodka glänzten und in denen Mimi sich festbeißen wollte, an die Augen der Freundin, die leer waren, fast schwarz und in denen Mimi sich selbst anstarrte: den unperfekten Idioten, der nicht funktionierte, der aber lebendig war und hungrig und der nie genug bekam, das verliebte Ding, das sie war, wenn Henriette sie ansah, die Verliererin, die jede Nacht zuviel trank und die es genoss.
„Alkohol ist Liebe“, dachte Mimi da und lachte. Dann dachte sie an ihn und das Lachen verschluckte sich selbst.
Oh, wie er es hasste, wenn sie betrunken war. Er, dessen Herz sie geshreddert hatte, der Musiker mit dem schönen blonden Haar, der zu perfekt geworden war für sie, zu schnell, um noch hinterher zu kommen, ihre alte Liebe, die ausgeliebt und ausgeleiert war. Hihi. Pech gehabt.
Mühsam und mit wackligen Beinen stand Mimi auf, wischte die Schminke ab, wusch das Gesicht, spülte die Kotze aus den Haaren, putzte die Zähne, zog sich auf dem Weg ins Schlafzimmer aus, ließ die Kleider dort liegen, wo sie zu Boden gefallen waren, legte sich nackt ins Bett und schlief mit einem Lächeln ein.
Ein Abend im Hafen und im Jetzt, genauer gesagt in Madame Mimis rosarotem und sehr windschiefem Haus auf dem Erdhügel.
Der Rum vor ihr auf dem Tisch glitzerte bernsteinfarben in der Flasche. Wie wunderhübsch er aussah. Gute, gute Medizin. Wie flüssiger Kandis. „Du bist mein Freund“, sagte Mimi mit schwerer Zunge und klopfte freundschaftlich aufs Etikett. „Könnte der doofe Alkohol lesen, würde ich ihm einen Liebesbrief schreiben“, dachte sich das Madamchen. „Wenn er ein Gehirn hätte oder wenigstens Ohren, würde ich ihm Danke sagen fürs immer da sein, wenn ich ihn brauche.“ Nicht nur damals, als eine alte Liebe kaputt ging und das Mimimädchen Trost in rauchigen Eskapaden suchte. Immer schon.
Mimi erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Als sie noch ganz klein war, steckte der Opapa ihr manchmal grüne, klebrige Bonbons zu. „Da ist echter Schnaps drin!“, sagte er und tat dabei sehr geheimnisvoll, „Apfelschnaps! Darum sind die Bonbons auch grün!“ „Ohhhh…“ Riesengroße Gören-Augen. Happs! Rein damit. Ach, herrlich. Manchmal durfte Mimi auch an Omas Eierlikör nippen. „Musst die Zunge einstippen, bis es brennt!“ Iiieks. Das Mimikind schüttelte sich und quiekte wie ein Schweinchen.
Dabei hatte Alk es nicht immer gut mit ihr gemeint. Hatte ihr vieles verdorben, sie stolpern und fallen lassen, sie gehörig in die Bredouille und in Situationen gebracht, für sie sich im Nachhinein sehr schämte.
Wütend sah Mimi die Rumflasche an. „Jaha, du kannst auch ganz schön scheiße sein!“, lallte sie, öffnete die Flasche, und kippte den verbliebenen Inhalt in das Glas, das sie zwischen den Oberschenkeln balancierte.
„Du musst besser auf dich aufpassen“, sagt da die Himbeerbrause, die neben der leeren Rumflasche auf dem Tisch stand, und blubberte genervt.
„Du bist ja nur neidisch, weil du nicht so toll bist“, zischte Mimi ihr zu. Dann schüttelte sie die Brause, bis ihr duselig wurde, ihr, der Brause, und die Kohlensäure wütend von dannen zog.
„Du bist jetzt Himbeerpipi!“ Mimi kicherte.
Sie nahm das Rumglas, kippte es leicht und steckte dann ihre Zunge in das ölige Gift. Das brannte. Iiieks. Dann schüttete Mimi den Rest in sich hinein, leckte ein paar verkleckerte Tropfen von ihrem Handrücken, versuchte aufzustehen, verlor aber das Gleichgewicht, fiel vom Sofa, landete unsanft auf dem Steißbein, schrie "Aua aua!", fluchte und schwor sich: „Morgen mach ich Schluss!“ Dann schlief die betrunkene Madame mit einem Lächeln auf dem Wohnzimmerteppich ein.
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