ihr.

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Sonntag, 25. Dezember 2011

pieks und das rauschen der wellen.

Als das Schiff unter Rumpeln im Hafen anlegte, legte Mimi einen Lederhandschuhfinger an die Lippen und machte: „Hm.“ Etwas war anders als sonst. Als würde etwas in der Luft liegen, mehr Salz vielleicht, mehr Möwenscheiße, mehr Wolkenfluff. 

„Hm.“ Sie kam nicht drauf.

Die Matrosen manövrierten das Schiff gegen die Kaimauer und warfen den Anker.
Mimi saß mit hochgeschlagenem Mantelkragen auf der Mole und beobachtete, wie die Männer von Bord gingen.
„Hässlich, hässlich, hübsch, zu dünn, zu blass, zu hässlich...“

„Hallo.“

„Huch!“ Wo kam das denn her?

„Hier, neben dir.“

Sie sah sich um, und fast hätte sie sich an ihrem Lederhandschuhfinger verschluckt. Da stand der Kapitän des Schiffes, der eigentlich viel zu jung und schön war, um ein Kapitän zu sein, und haute ihr sein schönstes Sonntagslächeln um die Ohren. Durch die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen pfiff der Wind. Mimi hatte es die Sprache verschlagen. Das kam nicht oft vor, aber wenn, dann richtig. 
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, etwas Interessantes, etwas Kapriziöses, etwas, das den jungen Kapitän in ihr rosarotes, windschiefes Haus auf dem Erdhügel locken würde. Heraus kam nur ein Fiepen, umhüllt von einem Krächz mit Räusper.

„Ich kenne dich“, sagte der Kapitän. „Aus der echten Welt. Erinnerst du dich?“

Ja, ja, natürlich! An seine Nase erinnerte sie sich. Die krauste sich so seemännisch mit dem Wind, mal nordwärts, mal südwestlich. Und an seine Stimme. Die war sanft und ein Versprechen. Alles andere war verschwunden. 

„Ich habe vergessen, wie du heißt“, stellte Mimi betrübt fest.

„Macht nichts. Hier im Hafen bin ich der Captain.“

„Und wie heißt dein Schiff?“

„Steht doch da.“

„Ich bin leider hart kurzsichtig, Captain.“

„Mein Schiff ist die BIFFY CLYRO.“
Er sagte es ehrfurchtsvoll in VERSALIEN.

„Möchtest du eine Tasse Tee, Captain? Und ein Stück Kuchen dazu?“
Sie wollte ihn locken, denn er gefiel ihr. Doch jedes ihrer Worte klang klein und dünn und gar nicht verführerisch.

„Ja, Tee mit Rum wäre gut.“

Etwas später saßen sie in einer Ecke des einzigen Cafés im Hafen. Das Holz war dunkel, die Schürzen der Bedienungen so weiß, dass sie Mimi blendeten. Zum Kaffee und Tee gab es gezuckerte Waffeln, dazu Anstand auf einem Extrateller und ein Löffelchen Mädchenscheu.

Der Kapitän, der sich Captain nannte, erzählte von seinen Reisen und den Menschen und Monstern, denen er in all den Jahren auf See schon begegnet war. Das beeindruckte Mimi sehr. Weil sie ja festsaß, hier im Hafen, unter all den Verrückten. 
Als sich Mimi gerade eine Waffel in den Mund gestopft hatte und vergeblich versuchte, das goldgelbe Ding in einem Haps herunterzuschlucken, beugte er sich zu ihr und verriet: „Manchmal vermisse ich zu Hause.“

„Wo ifft Fuhaufe?“, fragte Mimi mit vollen Backen.

„Im Norden. Am Meer.“

Als der Captain von seinem Onkel erzählte, der ein großer Abenteuer sei, aber leider ab und an verloren ginge, so dass sich alle Sorgen machten und ihn tagelang suchten, passierte es wohl. 
Ob es an der Geschichte vom verschwundenen Onkel lag, oder daran, wie der Captain von ihm erzählte, mit Traurigkeit in den Augen und schwerer Zunge, daran, wie er Mimi in diesem Moment ansah oder daran, wie sich seine Nase unbewusst Richtung Rum kräuselte – die Madame vom Hafen fühlte einen Stich, einen Pieks. Genau dort, wo früher einmal ihr Herz geschlagen hatte. Und weil da drin jetzt alles ganz rot und wund und leer war, schmerzte der Stich sehr. Automatisch griff sich die Madame an die Stelle, an der es stach, kratzte vorsichtig und sah dabei den Captain an. 

„Du hast mich gepiekst, Captain“, murmelte sie und schämte sich, weil sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dass er ihre Hand nahm und sie festhielt.

„Juckt es?“


„Ja.“


„Bei mir auch. Du hast mich schon mal gepiekst. Aber das ist schon lange her. Bestimmt hast du es vergessen.“


Mimi starrte auf ihre Schuhe. Das alles kam ihr bekannt vor. Sie hatten schon einmal bei Kaffee und Tee und Waffeln in einer dunklen Ecke gesessen, sie kannte die Geschichte vom Abenteurer-Onkel und die Stimme des Captains war ihr so vertraut wie Herrn Katzenmanns leises Gurgeln, wenn er schlief. Aber woher kannte sie das alles?


„Mein Gedächtnis ist nicht besonders gut“, entschuldigte sie sich und sah noch immer zu Boden.


„Du hast alles vergessen, als du damals hierher gekommen bist, oder?“


„Ja.“


„Lass uns spazieren gehen.“


Leider war Mimis Gedächtnis wie ein Sieb mit viel zu großen Löchern. Alles, was sie sich nicht gleich mit einer Nadel ans Revers tackerte, rasselte da durch. Und so kam es, dass die Madame vom Hafen auch den Rest dieses Tages einfach so vergaß. Nein. Nicht alles.


Sie würde sich für immer und ewig daran erinnern, wie der Captain seine schwere, warme Jacke geöffnet hatte, als er bemerkte, dass das Mädchen, das nun eine verrückte Madame war und für das er die lange Reise in den Hafen auf sich genommen hatte, fror. So sehr, dass ihre Zähne klapperten. Er blieb stehen. Dann lud er Mimi und das Zähneklappern unter seine Jacke ein. Er sagte nichts. Mimi, die nur ein Kleidchen und einen dünnen Mantel trug, vergaß alle Vorsicht und damenhafte Contenance und drückte sich an den Captain. Wie gut sich das anfühlte, so wollte sie immer fühlen, sie wollte diesen fremden Mann nicht mehr loslassen, er war ihr Geliebter und ihr alles, aber sie hatte ihn geopfert für etwas, für ein Trugbild, sie hatte ihn verletzt und doch war er hier. Aber warum?


Da kam die Erinnerung an die alte, die echte Welt auf einen kurzen Sprung vorbeigehuscht. Mimi erschrak und sah dem Captain von unten aus der warmen Jacke direkt in die Forelle-blau-blauen Augen.


„Ich weiß, wer du bist! Du bist...“


„Tschühüüüüss!“, rief da die Erinnerung an damals, winkte mit dem knochigen Arm und verschwand auf Nimmerwiedersehen, bevor Mimi den Gedanken festhalten konnte.


Durch die Zahnlücke des Captains quetschten sich Worte, doch Mimi verstand sie nicht. Sie starrte ihn an. Für einen Moment war alles wieder da gewesen, die Erinnerung, das Wissen, dass sie nicht immer verrückt gewesen war. Ihr Herz. Es hatte ein Liebeslied gesungen mit seinem schrägen Stimmchen. Das klang schrecklich, aber es war doch für ihn!


„Mimi?“ Seine Hände strichen über ihre schwarzen Vogelnesthaare.


„Ich wusste nicht, dass mein Herz Liebeslieder singen konnte. Es hat für dich gesungen.“


Der Captain lächelte. „Manchmal hat es sogar dazu getanzt.“

Dann küsste er Mimi. Und sie küsste zurück, hielt ihn fest, so fest sie konnte.

Der Rest war Grau und Pieks und Wellenrauschen.

2 Kommentare:

  1. Es ist schön.
    Ich liebe es, von Dir zu lesen. Von Mimi. Ich vermisse sie. Sehr.
    Ich habe Bilder im Kopf, wenn ich das alles lese. Es ist schön.

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  2. da möchte ich matrose werden, oder eben captain, einer mit anker und steuerradtatoos und vielen bunten fischen über den ganzen körper verteilt... ein ganzer fischschwarm... merci für die schöne geschichte

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ich.

Mein Bild
Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.