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Freitag, 11. Februar 2011

liebeskummer macht flecken.

Manchmal hätte Mimi sich für ihre Dummheit ohrfeigen mögen. Sie war doch nicht blöde, warum passierten ihr immer wieder dieselben Fehler?

Zuerst war da der Matrose gewesen, ihre eine, große Liebe. Für ihn wäre sie einst um die ganze Welt gewandert, nackt und auf Stöckelschuhen. Als sie sich in ihn verliebte, war sie unschuldig, da war keine Sehnsucht nach dem Bösen, die ihr Leben zerfraß, sie wollte nur ihm gehören. Wenn er sprach, war sie ganz Glotzaugen und Staunemund, ganz klopfendes Mädchenherz. Dann war er fortgegangen, ohne eine Erklärung, ohne ein „Verzeih mir.“ Davongestohlen hatte er sich und es hatte ihn nicht gekümmert, was aus ihr werden würde ohne ihn. In der Nacht, in der Mimi bewusst wurde, dass der Liebste nie wiederkehren würde, war sie verrückt geworden. Sie war eingeschlafen, und als sie erwachte, war alles anders. Aber das war eine andere Geschichte.
Hier, im Hafen, in diesem ewig dunklen Kosmos mit dem Ölhimmel, an dem statt Sternen rostige Nägel prangten, hatte sie sich oft einsam gefühlt. Hier war es immer kalt, die Augen der Matrosen waren matt, die ihrer Liebchen noch matter. Viele Menschen hatte sie hier getroffen, das Plastikmädchen, den alten Kater Herrn Katzenmann, die Schlangenfrau, den Boxer, der ein Poet war, den Förster aus dem Metzel-Wald und Erich, seinen Zombiedackel. Sie war selten allein, ging jede Nacht aus, hatte an jedem Finger ihrer verkrüppelten Hände, die sie Tag und Nacht unter ledernen Handschuhen versteckte, zehn Galane. Aber ihr Herz, das blieb trotzig und eisig.
Bis sie den Schauspieler traf, den mit dem Hut. Vom ersten Moment an war sie ihm verfallen.
„Ich liebe ihn“, hatte sie nach dem zweiten Rendez-Vous, das nicht mehr als ein flüchtiges, verschwitztes Stelldichein war, gedacht. Gesagt hatte sie es nie.
„Liebst du mich, Madame Mimi vom Hafen?“ fragte er immer wieder.
„Nein“, antwortete sie stets, senkte den Blick und schluckte den Schmerz hinunter. Sie wusste, dass er sie quälen wollte. Ihre Hilflosigkeit machte ihn stark. Er genoss die Macht, die er über sie hatte, über diese Diva, mit ihren roten Lippen, dem gelangweilten Blick und dem rabenschwarzen Haar. Mimi war die Madame vom Hafen, jeder kannte sie. Eines Tages war sie aufgetaucht, einfach so, woher sie kam, wusste niemand. Bevor sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte er jede Geschichte, die sich das Hafenvolk über sie zuraunte, gesammelt, ihre Begegnung war kein Zufall gewesen. Doch das würde auf ewig sein Geheimnis bleiben.
In seinen Händen wurde sie zu einem lächerlichen Kind, zu einer Süchtigen, die er mit schimmeligen Zuckerbrotkrümeln füttern konnte, die seine Launen ertrug, seine Perversionen teilte, die ihn anschrie, anspuckte, wenn ihr in klaren Momenten bewusst wurde, dass sie nichts als sein Spielzeug war. Er liebte sie, anders aber als sie ihn. Diese Liebe hatte nichts Schwärmerisches, nichts Liebliches. Sie war dunkel und böse und trug einen Hut, der aus alten Reitgerten und eitrigem Schorf gestrickt war. Und doch brauchte er sie. Mimi war genauso wahnsinnig wie er.
Wenn er nach einer Nacht mit dem lasterhaften Wesen heimkehrte zu der Frau an seiner Seite, fühlte er sich gut, niemals schuldig. Mimi vom Hafen war seine Sucht, sie war eine Krankheit, gegen die kein Kraut gewachsen war. Anders als seine Frau forderte Mimi alles von ihm. Wenn ihr etwas fehlte, kreischte sie es in seine Ohren, bis er fürchtete, taub zu werden. Er musste sich vor ihr schützen, er durfte ihr nicht verfallen. Was half da besser als ofenwarme Heimeligkeit, der Duft frisch gebackener Plätzchen, als dieses Biedermeiersträußchen aus Anstand und jahrelanger Freundschaft, die ihn daheim erwartete? Nur so konnte er sich gegen dieses Fieber schützen, das ihn beizeiten befiel. Mimi verstand von diesen Dingen nichts. Mit offenen Armen rannte die Madame ins Unglück, schüttelte seine Hand und begrüßte es mit einem freudigen „Hallo Unglück, wir haben uns aber lange nicht gesehen!“ Sie war ein Trottel und das gefiel ihm. In einer anderen Welt hätten sie einander Gefährten sein können. Aber nicht hier, im Hafen gab es so etwas nicht.
Seine Frau, eine Dame mit gelbem Haar und guter, treuer Seele, ahnte nichts von all dem. Aber er war ja schließlich Schauspieler, ein sehr guter noch dazu. Des Nachts hingegen sehnte er sich nach Mimi, nach ihrer bunt bemalten Puppenhaut, ihrer Kinderstimme, nach diesen bizarren Sehnsüchten, die sie nur mit ihm teilte. In diesen Momenten wünschte er sich, er könne sie so lieben wie sie ihn.

Sie hatten sich geliebt. Nun lag sie hier, nackt, frierend in den nassen Laken, die nach ihm rochen. Mimi weinte. Er hatte sie auf die Stirn geküsst, bevor er gegangen war. Sie sah sein Gesicht vor sich, vor Geilheit zu einer hässlichen Fratze verzogen, hörte ihn keuchen, ihn  flüstern „Liebst du mich, Mimi?“
„Ja!“, brüllte sie nun in den leeren Raum. „Ja, ich liebe dich!“ Dann presste sie ein Kissen auf ihren Mund und schrie, so laut sie konnte. „Du bist nicht gut für Mimi, Schauspieler“, murmelte sie, als ihre Stimme heiser gebrüllt war. „Du wirst gehen müssen, ich habe keine Kraft mehr.“
Sie sah aus dem Fenster, hörte die Stimmen der Matrosen, die den Huren nachpfiffen, das Wasser, das unruhig war. Mit einer ihrer behandschuhten Hände fuhr sie sich durchs Haar, ordnete es und steckte es zu einem Knoten in ihrem Nacken zusammen. Auf wackligen Beinen ging sie langsam auf den Spiegel zu, der an der Zimmertür angebracht war und betrachtete sich. Die Nächte mit dem Schauspieler hatten Spuren hinterlassen, blaue Flecke, Kratzer, kleine Wunden, an ihrem Hals eine Narbe. Sie trat noch einen Schritt näher an den Spiegel heran, bis ihre Brüste das Glas berührten und sie zusammenzuckte. Aus dem Spiegel heraus sah Mimi sich an.
„Wir wollen ihn nicht mehr“, sagte ihr Ebenbild und sah sie flehend an.
„Doch, ich will ihn.“ Nervös trat sie von einem Bein aufs andere.
„Aber er macht uns unglücklich!“
„Nein, das ist nicht richtig. Er macht mich glücklich, er ist doch mein Liebster.““
Das Ebenbild lachte irre. Dann hielt es inne und sprach: „Wir brauchen ihn nicht. Schick ihn weg, bitte! Bitte schick ihn weg!“
„Du sollst nicht betteln“, befahl Mimi. Ihre Stimme klang tiefer, wenn sie wütend wurde und das Gerede ihres Spiegelbildes machte sie wütend. Sie sah sich in die Augen, legte ihre Hand auf das Glatte, Kalte vor ihr und leckte die Tränen vom Gesicht der Madame, die sie anstarrte. Sie hatte ja recht. Sie wollte zur Ruhe kommen, sie brauchte das so sehr.
„Ich verspreche es dir. Niemand wird uns mehr unglücklich machen. Wir werden uns von ihm trennen. Aber es wird nicht leicht sein.“
„Du musst ihn auslöschen“, sagte die andere da.
„Ja, vielleicht.“
Als sie das gesagt hatte, drehte sie sich um, ging zurück zum Bett, ließ sich hineinfallen und wickelte sich ganz fest in die Laken. Dann weinte sie, bis sie endlich einschlief. Am nächsten Morgen, als sie aus einem traumlosen Schlaf erwachte, fühlte es sich an, als sei sie zum zweiten Mal wahnsinnig geworden.
Das war natürlich ein Trugschluss, niemand kann das, zweimal wahnsinnig werden. Dennoch wünschte sich Mimi, dieses Gefühl würde schnell vergehen, es war sehr unangenehm und kribbelte an den unmöglichsten Stellen. Außerdem musste sie bei Sinnen sein, um den Schauspieler mit Hut auszulöschen. Später im Kaufladen entschied sie sich gegen das Auslöschen und für das Ausradieren, kaufte Berge von Radiergummis und verbrachte den Tag damit, sich jeden Gedanken an den Mann aus dem Leib zu rubbeln.
Leider klappte das nicht. Hätte ihr das mal einer vorher gesagt.



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ich.

Mein Bild
Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.