ihr.

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Montag, 27. Dezember 2010

die verführung sagt, sie heißt edith.


 
Breitbeinig sitzt sie auf meinem Bett und pinselt sich die Krallen rot an. Ich stehe vor dem Spiegel und male mir rappenschwarze Augen. Sie weiß, dass ich sie beobachte.

„Glotz nicht so“, sagt sie.

Blöde Nutte. Sitzt da mit deiner Schneewittchenhaut, deinen korallenen Lippen, deinem viel zu engen Kleid und deinen Apfeltitten und meinst, ich lasse mir von dir was sagen. Ich tusche mir ein letztes Mal die falschen Wimpern und drehe mich zu ihr um, die Hände auf den Schminktisch hinter mir gestützt. Sie trägt kein Höschen, aber das tut sie ja nie. Ich starre ihre Möse an. War das Piercing vorher schon da? Muschiblech. Perfect Pink.

„Mal lecken?“ sagt sie, steckt sich einen Finger rein, ganz langsam, ganz tief, zieht ihn wieder raus, leckt ihn ab und sieht mich dabei herausfordernd an.

„Nein danke. Heute nicht. War der Nagellack schon trocken?“

„Wahrscheinlich nicht.“

Nagellackfotze. Ich lache. Was für ein Idiot sie sein kann. Das mag ich an ihr. Was ich nicht mag, ist, dass sie es wie niemand sonst versteht, die richtigen Fäden zu ziehen, dass sie mich in der Hand hat und mich lenkt wie kleine Jungs ihre ferngesteuerten Autos, mit ihren Worten durch meinen Verstand spaziert, lächelnd und pfeifend, und dabei jedes Mal nichts als Wüste und schlechtes Gewissen zurücklässt. Wenn sie mich dazu bringt, statt des Wassers mit Zitronenspritzer das Zitroneneis mit einer doppelten Portion Sahne zu bestellen. Und einer Cocktailkirsche obendrauf. Wenn sie mir zuflüstert, dass ich ja auch morgen noch was für die Uni tun könnte, „Lass uns lieber shoppen gehen, Liebes“, in mein Ohr haucht, über meinen Nacken streicht, mir Gänsehaut macht und der Tag mit einem neuen Kleid, zwei Paar Netzstrümpfen und einer „Best of Hans Albers“-Platte statt mit drei neuen Seiten für die Magisterarbeit endet. Oder wenn wir am Ende der Nacht wieder mal volltrunken und mit verschmiertem Lippenstift durch die Straßen torkeln, obwohl ich doch eigentlich zu Hause bleiben und meine paar Piepen beisammen halten wollte. Oder wenn ich ihrem Flehen nachgebe und mich von hübschen Gossenjungs in dunklen Hauseingängen küssen lasse, nur weil es sie anmacht.

„Komm her, Fuckface“, schnurrt sie und zieht mich zu sich aufs Bett. Dann knutschen wir, obwohl ich doch eigentlich tanzen gehen wollte, und mir fällt wieder mal auf, dass niemand so gut schmeckt wie sie. Nach Rum und Kuchen und Kippen und Himbeeren. Und während sie mir in die Unterlippe beißt, stöhnt sie: „Sag meinen Namen…“

„Ich weiß doch gar nicht wie du heißt.“

Sie setzt sich auf, guckt mich einen Moment lang fassungslos an und lächelt mich dann an mit ihren grünen Katzenaugen: „Stimmt. Wir haben uns nie vorgestellt.“ Wir kichern verlegen.

„Obwohl wir uns schon so lange kennen“, stelle ich fest.

Dann reicht sie mir die Hand, die ganz kalt ist, und sagt mit einem Lachen: „Ich bin die Verführung.“

„Die Verführung? Wie ,Die Deneuve’? Oder ,Die Monroe’?“

„Ja, genau.“

„Hast du keinen Vornamen?“

„Doch, aber der ist peinlich.“

„Sag mal.“

„Edith.“ Sie senkt den Blick und ich falle vor Lachen vom Bett. Dass ich mir dabei das Knie an der Bettkante anstoße, ist mir egal. Der Vorname der Verführung ist Edith. Ich kann nicht mehr.

„Hör auf damit!“ schimpft sie, „hör auf zu lachen!“

Immer noch grinsend krabbel ich wieder aufs Bett, nehme ihr Gesicht in meine Hände, sag ihr, sie soll die Fresse halten und ficke die Verführung.

Samstag, 25. Dezember 2010

splatter.

Ein Rückblick in die alte, echte Welt. Realität oder Albtraum? Das tut nichts zur Sache. 

Mimi wurde wach von dem Schmerz in ihrem Kopf. „Au“, stöhnte sie und griff sich an die Stirn.
"Nass. Alles nass, warum ist alles nass?"
Da hörte sie ihn im Dunkeln atmen.
"Er wühlt in meinem Kopf herum, er muss ihn eingeschlagen haben, gespalten vielleicht", dachte sie.

„Was machst du da?“ fragte Mimi mit schriller Stimme. Er hielt inne.

Im Spiegel gegenüber konnte sie alles sehen. Sie atmete ein, aus, ein, so tief sie konnte. Das half beim Nachdenken und hielt die Panik fern.
"Er hat meinen Schädel aufgesägt, er muss es getan haben, als ich schlief."

Kluge Mimi. Die Schädeldecke hatte er auf den Nachttisch gelegt, die Säge lag daneben und bekleckerte den hübschen, blütenweißen Estrichboden mit roten Tropfen. Ihr Gehirn musste intakt sein, wie hätte sie sonst denken oder sprechen können?

Sein Spiegelbild sah traurig aus. Er saß da, über Mimi gebeugt, die Hände in ihrem Kopf.
Sie schrie, „Was tust du???“, wieder und wieder. Da fiel ihr auf, dass sie sich nicht bewegen konnte. Ein Schock, ja, es musste ein Schock sein, der Schmerz musste ihre Glieder gelähmt haben.
"Ich kann mich nicht bewegen!" Mimi heulte und schrie, so laut sie konnte, bis ihr die Spucke aus dem Mundwinkel tropfte, bis die Kräfte sie verließen. Er sah sie an, mit stumpfen, blinden Augen. Als Mimis Kopf kraftlos zurück ins Kissen sank, seufzte er. Dann machte er weiter.
Im Spiegel sah sie seine Hände, die in ihrem Schädel herumwühlten. Er griff hinein, holte etwas heraus und schmiss es in den Mülleimer, den er neben das Bett gestellt hatte. Christbaumkugeln. Mimi kniff die kurzsichtigen Augen zusammen, um genauer sehen zu können. Christbaumkugeln. Rot-gläsern und glänzend. In den Kugeln erkannte sie Bilder. Undeutlich, aber es fühlte sich gut an, sie zu betrachten, und sie merkte, wie sie lächelte, obwohl der Mann über ihr ihren Kopf zermatschte.

In den Kugeln erkannte sie das, was hätte sein können, sah sich und ihn, wie sie Liebe machten. Sie fickten nicht, er liebte sie, sie ihn zurück. Sie sah 27 Kinder, die seine Lippen hatten und seine Wimpern, hörte sie über Dinge reden, die sie bewegten, fühlte seinen Kopf in ihrem Schoß, wusste, dass er immer da sein würde, auch wenn sie wieder einmal stritten und sie, Mimi, heulend auf dem Küchenboden kauerte, während er schreiend davon lief. Sie liebten sich ja.

Da erst wurde Mimi bewusst, was er tat. Dieser Idiot. Er nahm ihre Träume von der Zukunft, diese zerbrechlichen, gläsernen Klumpen, stahl sie aus ihrem Kopf und warf sie fort. Ihr Herz raste vor Wut und Entrüstung. In einer Ecke des Zimmers hörte sie es rascheln. Das war die Trauer, die sich kopfschüttelnd zur Tür hinaus schlich. Mit der Trauer verschwand auch die Starre.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“ fauchte sie ihn an. Er sagte nichts, glotzte nur dumpf. Dann beugte er sich wieder über sie, um das schreckliche Werk zu vollenden. In diesem Moment rotzte Mimi ihm all ihre Verachtung ins Gesicht, bitterböse, ätzende, gelbgrüne Verachtung. Es zischte und brodelte, und sie hörte ihn schreien, sah ihn hüpfen und mit den Armen wedeln. Aber es half nichts. Das Gift zerfraß sein wunderschönes Gesicht. Eine Schande.

„Das hast du davon, Blödmann!“ schimpfe Mimi, erhob sich, als wäre nie etwas gewesen, nahm aus dem Schrank ihren Altherrenhut heraus und bedeckte damit das Ding, das mal ihr Kopf gewesen war. Dem Ding, das mal ihre Liebe gewesen war, stopfte sie eine der Christbaumkugeln ins Maul, tätschelte die löchrigen Wangen und sagte: „Wenigstens sind wir jetzt quitt.“


Freitag, 17. Dezember 2010

das mädchen aus plastik und das tackerherz.




Es war bitterkalt. Die Luft schnitt ihr in die Beine. Wie Messerschnitte fühlte sich das an, warum nur hatte sie nicht die wollene Strumpfhose angezogen? Die kratzte und sah scheiße aus, aber sie hätte sie warmgehalten. Die Madame beugte sich zum Wasser vor und tunkte die eingeseiften Kleidungsstücke in den Strom. Zwei Tränen tropften hinterher.

„Was machst du da?“ hörte sie eine Stimme hinter sich, die kaum mehr war als ein Flüstern. Vor Schreck wäre sie beinahe in den Fluss gefallen. Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Mantels die Augen trocken und sah sich um, konnte aber nichts erkennen.

„Hier drüben, hinter dem Baum!“

Hinter dem Baum, witzig, wir sind hier im Wald!, dachte sie. Da sah sie das Mädchen. Es stand da und betrachtete sie, die Nase nachdenklich gekräuselt.

„Ich wasche schmutzige Wäsche.“

„Aha. Kann ich dir helfen?“

„Nein. Das mache ich lieber allein.“

Das Mädchen kam auf sie zu und der Madame stockte der Atem. So etwas Schönes hatte sie in ihrem Leben noch nicht gesehen. Es war ganz aus Plastik gemacht, sein Körper glänzte rot, von den Füßen bis zum Hals, die Arme und Beine wirkten, als hätte man sie eingehängt, als wären sie mit dem Rest des Mädchens gar nicht verwachsen. Die langen roten Haare glitzerten, selbst im Halbdunkel dieses regnerischen Tages, weil sie aus Nylonfäden gemacht waren. Wie eine Puppe sieht es aus, dachte die Madame. Das Wunderbarste aber war sein Gesicht, eine Mischung aus Unschuld, Zucker, Verschlagenheit und ordinären Gedanken.

„Bist du traurig?“ fragte es die Madame, die sich fest in ihren Mantel eingewickelt hatte und versuchte, ihre eisekalten Waschhände warmzuhauchen.

„Ja. Ich habe Liebeskummer. Einer dieser elenden Matrosen aus dem Hafen hat mir das Herz in Fetzen gerissen und die Überreste mit auf Reisen genommen. Und nun leide ich sehr.“

„Hihi.“ Ein Kichern. Aus dem Rosenmund des Plastikmädchens.

„Das ist nicht lustig, hör sofort auf zu lachen!“ Die Madame war außer sich.

„Entschuldige, so war es nicht gemeint. Nur musst du nicht traurig sein. Sei glücklich. Es gibt so viele Matrosen da draußen, warum willst du dich einem schenken, der nicht mal auf so ein dummes, kleines Herz aufpassen kann? Das ist doch wirklich blöde.“

„Aber ich hatte ihn sehr gern.“

„Ich weiß.“

„Woher?“

„Ich habe euch im Hafen manchmal beobachtet, wenn ihr in der Schänke zusammen Schnaps getrunken habt und dann stockbesoffen zu seiner Pension gestolpert seid. Zuerst war ich eifersüchtig auf dich, weil ich auch ein Auge auf ihn geworfen hatte. Aber dann fing ich an, dich zu mögen. Du bist so naiv und ich mag deine Stimme.“

Die Madame rieb sich nervös die Oberschenkel. Was sollte sie von diesem Geständnis halten? War das Plastikmädchen eine Stalkerin? War es vielleicht sogar gefährlich? Vielleicht sollte sie besser ihre Schmutzwäsche nehmen und sich auf und davon machen. Woher sollte sie schließlich wissen, wozu so ein Wesen aus abwaschbarem Kunststoff in der Lage war?

„Du musst keine Angst haben“, unterbrach der Rosenmund da ihre Gedanken. „Ich mag dich. Ich habe sogar ein Geschenk für dich.“ Das Mädchen aus Plastik öffnete eine Klappe auf seinem Bauch, griff in sich hinein, holte ein kleines Paket heraus, das mit einer Schleife umwickelt war, und gab es der Madame. „Mach’s mal auf!“

Die Madame wog das Paket in ihren Händen, drehte es hin und her und glaubte, ein leises Klopfen zu vernehmen. Tock-tock-tock. Was konnte das sein? Eine Uhr? Eine Bombe? Nein, das war unmöglich. Das Mädchen saß vor ihr, die Zungenspitze im Mundwinkel, die großen Glotzaugen starrten sie an. Es musste etwas Hübsches sein, sie war sich sicher. Sie öffnete das Paket, und dort lag es. Ein Herz. Ihr Herz. Sie erkannte es sofort wieder, obwohl es verändert aussah. Die Fetzen, in die der Matrose es gerissen hatte, waren sorgfältig mit Nadel und himmelblauem Faden zusammengenäht worden, an manchen Stellen waren sie zusammen getackert. Das Herz war warm und klopfte, nicht ganz regelmäßig, aber immerhin. Es schlug wieder.

„Ich kann nicht so gut nähen“, grinste das Plastikmädchen und schlug kokett die Wimpern nieder.

„Wie hast du das gemacht???“

„Ich habe es ihm gestohlen, als er betrunken im Wirtshaus in der Ecke lag.“

Die Madame wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie lachte verlegen, griff das Herz mit zitternden Fingern, machte den Mund ganz weit auf und verschluckte das verlorene Ding mit einem Happs. Dann schüttelte sie sich, weil das Herz so warm und glibberig war und weil die Nähte und Tackernadeln ihre Kehle kratzten. Als das Herz wieder an seinen Platz gerutscht war, atmete sie tief ein. „Danke“, sagte sie leise.

„Willst du meine Freundin sein?“, fragte das Mädchen und die Madame konnte die Aufregung in seiner Stimme hören.

„Ja“, sagte sie und fühlte, wie das Tackerherz in ihr vor Freude hüpfte.

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Zuhause war so.


Es war einmal ein Matrosenmädchen, das gern Geschichten schrieb. 
Eines Tages aber kam dem Mädchen der Matrose abhanden und so musste es sich neu erfinden. Also nannte es sich fortan Mimi vom Hafen und schrieb, als ginge es um sein Leben. Und irgendwie ging es ja auch darum.

ich.

Mein Bild
Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.