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Freitag, 17. Dezember 2010

das mädchen aus plastik und das tackerherz.




Es war bitterkalt. Die Luft schnitt ihr in die Beine. Wie Messerschnitte fühlte sich das an, warum nur hatte sie nicht die wollene Strumpfhose angezogen? Die kratzte und sah scheiße aus, aber sie hätte sie warmgehalten. Die Madame beugte sich zum Wasser vor und tunkte die eingeseiften Kleidungsstücke in den Strom. Zwei Tränen tropften hinterher.

„Was machst du da?“ hörte sie eine Stimme hinter sich, die kaum mehr war als ein Flüstern. Vor Schreck wäre sie beinahe in den Fluss gefallen. Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Mantels die Augen trocken und sah sich um, konnte aber nichts erkennen.

„Hier drüben, hinter dem Baum!“

Hinter dem Baum, witzig, wir sind hier im Wald!, dachte sie. Da sah sie das Mädchen. Es stand da und betrachtete sie, die Nase nachdenklich gekräuselt.

„Ich wasche schmutzige Wäsche.“

„Aha. Kann ich dir helfen?“

„Nein. Das mache ich lieber allein.“

Das Mädchen kam auf sie zu und der Madame stockte der Atem. So etwas Schönes hatte sie in ihrem Leben noch nicht gesehen. Es war ganz aus Plastik gemacht, sein Körper glänzte rot, von den Füßen bis zum Hals, die Arme und Beine wirkten, als hätte man sie eingehängt, als wären sie mit dem Rest des Mädchens gar nicht verwachsen. Die langen roten Haare glitzerten, selbst im Halbdunkel dieses regnerischen Tages, weil sie aus Nylonfäden gemacht waren. Wie eine Puppe sieht es aus, dachte die Madame. Das Wunderbarste aber war sein Gesicht, eine Mischung aus Unschuld, Zucker, Verschlagenheit und ordinären Gedanken.

„Bist du traurig?“ fragte es die Madame, die sich fest in ihren Mantel eingewickelt hatte und versuchte, ihre eisekalten Waschhände warmzuhauchen.

„Ja. Ich habe Liebeskummer. Einer dieser elenden Matrosen aus dem Hafen hat mir das Herz in Fetzen gerissen und die Überreste mit auf Reisen genommen. Und nun leide ich sehr.“

„Hihi.“ Ein Kichern. Aus dem Rosenmund des Plastikmädchens.

„Das ist nicht lustig, hör sofort auf zu lachen!“ Die Madame war außer sich.

„Entschuldige, so war es nicht gemeint. Nur musst du nicht traurig sein. Sei glücklich. Es gibt so viele Matrosen da draußen, warum willst du dich einem schenken, der nicht mal auf so ein dummes, kleines Herz aufpassen kann? Das ist doch wirklich blöde.“

„Aber ich hatte ihn sehr gern.“

„Ich weiß.“

„Woher?“

„Ich habe euch im Hafen manchmal beobachtet, wenn ihr in der Schänke zusammen Schnaps getrunken habt und dann stockbesoffen zu seiner Pension gestolpert seid. Zuerst war ich eifersüchtig auf dich, weil ich auch ein Auge auf ihn geworfen hatte. Aber dann fing ich an, dich zu mögen. Du bist so naiv und ich mag deine Stimme.“

Die Madame rieb sich nervös die Oberschenkel. Was sollte sie von diesem Geständnis halten? War das Plastikmädchen eine Stalkerin? War es vielleicht sogar gefährlich? Vielleicht sollte sie besser ihre Schmutzwäsche nehmen und sich auf und davon machen. Woher sollte sie schließlich wissen, wozu so ein Wesen aus abwaschbarem Kunststoff in der Lage war?

„Du musst keine Angst haben“, unterbrach der Rosenmund da ihre Gedanken. „Ich mag dich. Ich habe sogar ein Geschenk für dich.“ Das Mädchen aus Plastik öffnete eine Klappe auf seinem Bauch, griff in sich hinein, holte ein kleines Paket heraus, das mit einer Schleife umwickelt war, und gab es der Madame. „Mach’s mal auf!“

Die Madame wog das Paket in ihren Händen, drehte es hin und her und glaubte, ein leises Klopfen zu vernehmen. Tock-tock-tock. Was konnte das sein? Eine Uhr? Eine Bombe? Nein, das war unmöglich. Das Mädchen saß vor ihr, die Zungenspitze im Mundwinkel, die großen Glotzaugen starrten sie an. Es musste etwas Hübsches sein, sie war sich sicher. Sie öffnete das Paket, und dort lag es. Ein Herz. Ihr Herz. Sie erkannte es sofort wieder, obwohl es verändert aussah. Die Fetzen, in die der Matrose es gerissen hatte, waren sorgfältig mit Nadel und himmelblauem Faden zusammengenäht worden, an manchen Stellen waren sie zusammen getackert. Das Herz war warm und klopfte, nicht ganz regelmäßig, aber immerhin. Es schlug wieder.

„Ich kann nicht so gut nähen“, grinste das Plastikmädchen und schlug kokett die Wimpern nieder.

„Wie hast du das gemacht???“

„Ich habe es ihm gestohlen, als er betrunken im Wirtshaus in der Ecke lag.“

Die Madame wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie lachte verlegen, griff das Herz mit zitternden Fingern, machte den Mund ganz weit auf und verschluckte das verlorene Ding mit einem Happs. Dann schüttelte sie sich, weil das Herz so warm und glibberig war und weil die Nähte und Tackernadeln ihre Kehle kratzten. Als das Herz wieder an seinen Platz gerutscht war, atmete sie tief ein. „Danke“, sagte sie leise.

„Willst du meine Freundin sein?“, fragte das Mädchen und die Madame konnte die Aufregung in seiner Stimme hören.

„Ja“, sagte sie und fühlte, wie das Tackerherz in ihr vor Freude hüpfte.

2 Kommentare:

  1. schön. so ein plastikmädchen bräuchte ich auch dringend.

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  2. ooooh... wirklich zauberhaft....

    Luhudefu

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ich.

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Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.