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Donnerstag, 9. Juni 2011

die geschichte vom letzten leberhaken, und wie es dazu kam. zweiter teil.

Der Boxer, der eigentlich ein Dichter war, oder, anders ausgedrückt, der Schläger, hinter dessen Physiognomie sich ein verkannter, romantischer Poet verbarg, mochte Mimi, obwohl er natürlich wusste, dass sie die Verse, die er, wenn ihn die Inspiration überkam (was ziemlich oft der Fall war) in sein schwarzes Büchlen notierte, immer wieder und vor allem hinter seinem Rücken zu lesen pflegte. Und manchmal, und auch das wusste er nur zu gut, hatte sie ihm doch etwas zu sehr auf seine Wunden gedrückt, und immer, wenn sie das getan hatte, hatte er sich gefragt, wer sie zum Teufel überhaupt in die Ringecke vorgelassen hatte. Immer wieder hatte sie sich in seine Ecke geschlichen, war zwischen den Seilen hindurchgeschlüpft und hatte vorgegeben, seine Wunden versorgen zu wollen, doch recht eigentlich hatte sie nur ihrer feinsinnigen und subtilen sadistischen Ader gefrönt, und das, das wussten sie beide. Aber so war sie, manchmal gar ein echtes Aas, ein tyrannisches Weibstück und eine Diva, aber sie war loyal, und von wem konnte man das schon behaupten? Der Boxer hatte die besten Köpfe seiner Generation untergehen sehen, sie waren allesamt dem, wie er es nannte, leidvollen Trias anheim gefallen, also den Drogen, dem Alkohol und der Lethargie.

Im Hafen, der vor allem in der letzten Zeit zu einem immer raueren Pflaster geworden war, hielt er sich mit gelegentlichen Arbeiten über Wasser. Ab und an schmuggelte er einige Buddeln jamaikanischen Rum an den Zöllnern vorbei und teilte sich den Gewinn mit Mimi, die den Rum, gerissen wie sie war, mit Zuckerwasser streckte und an ohnehin schon fast bewusstlose Matrosen zu Wucherpreisen verkaufte. Er hatte dem Kämpfen abgeschworen, und es war genau das, was er dachte: „Ich habe dem Kämpfen nun einmal abgeschworen!“, als er sich in die Vorratskammer von Mimis Haus zurückzog, um den dort aufgehängten Sandsack mit nackten Fäusten zu bearbeiten. Das Schlagen auf den Sandsack fühlte sich gut an, die Dynamik, die Kraft, doch es war ja immer dasselbe: Ein Sandsack schlägt nie zurück, und das wusste er nur zu gut. Also fügte er zu den Gedanken in seinem Kopf ein lang gedehntes aber hinzu, aber jetzt muss ich kämpfen, und ich tue es für Mimi.

Während er den Sandsack bearbeitete (und ihm auffiel, wie schwerfällig, langsam und behäbig seine Bewegungen in den letzten Jahren doch geworden waren), dachte er darüber nach, wie oft Mimi ihn von seinem Kummer und Herzschmerz abgelenkt hatte, wenn er sich wieder einmal hoffnungslos in eine der Hafenschönheiten verliebt hatte. Vor allem damals, als die Sache mit der Barfrau, deren Wangen unter der Thekenbeleuchtung (und nur da!) purpurn glänzten, passiert war.

Diesmal war er an der Reihe. Natürlich hatten sie in all den Jahren das eine oder andere krumme Ding miteinander gedreht, was daran lag, dass beide lügen konnten, bis sich die Balken bogen, jedoch vor allem konnten beide lügen, ohne auch nur einen Deut rot zu werden. So hatten sie die schottische Armada um eine unanständige hohe Maut erleichtert (die Schotten zahlten, wenn auch mit Murren und zähneknirschend, anstandslos und in englischem Pfund), und zwar für einen Seeweg, der auf keiner Karte zu finden war. Dann hatten sie Briefmarken mit dem Konterfei des Königs der Galapagosinseln in Umlauf gebracht, Briefmarken, die allesamt einen Wert von zwanzig Silbertalern aufwiesen. Doch Mimi kannte auch die dunklen Seiten des Boxerpoeten, der früher ein rachsüchtiger, unvernünftiger Ungenach gewesen war, jähzornig bis zum Zerbersten, und vor allem ein Trinker, der jedes volle Glas begrüßte und doch niemals das passende Ende, sondern immer eines mit Schrecken fand. Mimi wusste, was in der Nacht, in der der schöne Tünn und seine Gang aus der Oberstadt in ihrer Spelunke aufgetaucht waren, geschehen war, wirklich und tatsächlich geschehen war. In dieser Nacht war der Boxer betrunken und aufgekratzt gewesen, seine Stimme laut, und jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte erkennen, dass Ärger in der Luft lag, der Ärger elektrisierte die Luft.


Mimi hatte die schweren Schritte gehört, als der Boxer durch die Hintertür ihr Haus betrat. Er versuchte, leise zu sein, aber das gelang ihm nie, zu viel Masse für die Zehenspitzen, außerdem schnaufte er beim Gehen. Das war so eine Angewohnheit von ihm. Sie setzte sich auf, zog das Unterhemd mit den braunroten Flecken aus, ersetzte es durch ein weißes Leibchen und ein rotes Höschen mit Fransen (der Boxer nannte es ihren Stripperschlüppi), zog die Strümpfe hoch über die Oberschenkel, band sich eine rote Schleife ins Haar und schlich in die Vorratskammer. Dumpfe Schläge waren von da zu hören. Boxerchen verdrosch den Sandsack. Er machte das oft, er sagte, das helfe ihm dabei, sein Leben zu verarbeiten, den Zorn loszuwerden. Mimi fand, dass das ganz wundervoll klang und immer, wenn er das sagte, und das tat er oft, sah sie die Worte wie Honig aus seinem Mund heraustropfen, klebrig, süß und golden, und doch so sinnlos. Warum einen Sandsack verprügeln, wenn es doch so viele dumme Matrosen im Hafen gab, die nur darauf warteten, sich mit jemandem anzulegen und die so betrunken waren, dass sie nicht einmal den Hauch einer Chance hatten? Ihr hätte das viel Vergnügen bereitet, so ein abgekatertes Spielchen. Nur war die Madame für wüste Fights leider nicht gemacht, sie fiel ja immer so schnell um.

„Hallo Boxer“, sagte sie, als sie die Tür zur Vorratskammer öffnete. Sie setzte sich zwischen Bohnen in grauen Dosen und Wein in grünen Flaschen auf den Kartoffelsack in der Ecke, zog die Beine an, bis ihr Kinn die Knie berührte und betrachtete den kämpfenden Koloss.

„Hallo Mimi“, sagte der Boxer und machte weiter, ohne sie anzusehen. Seine Schläge waren hart, der Sandsack ächzte unter den Treffern. Es roch nach Schweiß, nach Sparring in der Bumsbude („Es heißt Gym, Mimi, nicht Bumsbude!“ erklärte der Boxer ihr wieder und wieder, aber weil Mimi neumodischen Kram nicht mochte, blieb sie bei Bumsbude), nach Wut und Angst. Wut und Angst rochen immer, immer nach Zwiebeln und Bier, Mimis Nase täuschte sie nie.

Der Boxer war nicht wiederzuerkennen. Wie im Rausch schlug er zu, stöhnte, keuchte. Mimi wusste, dass er an die Episode mit dem „Schönen Tünn“ dachte. Der war der erste und bislang einzige gewesen, den der Boxer außerhalb des Rings getötet hatte. Zweimal war ihm das während seiner Kämpfe passiert, aber damals hatten sie sich noch nicht gekannt. Als der Boxer aber den schönen Tünn ermordet hatte, da hatte sie zugesehen.

Er hatte ihren Freund provoziert, böse und gemein war er geworden. Der schöne Tünn, der gar nicht schön war, hatte den Boxer einen Verlierer genannt, ihn einen Feigling geschimpft, der sich vor allerwelts Augen zum Affen machte mit seinen Mädchenfäusten. „Dem Mädchen, das solche Fäuste hat, möchte ich aber nicht begegnen!“, hatte Mimi noch gedacht. Dann hatte der Fremde aus der Oberstadt einen Schritt nach vorn gewagt, sich vor dem Boxer, der mit Mimi an der Theke des Wirtshauses saß, aufgebaut und ihn angesehen. Nein, nicht angesehen. Fixiert hatte er ihn, mit Blicken, die vom Übermut und Schnaps funkelten. Und dann… dann hatte er ihn angespuckt, einen dicken Klumpen Rotze direkt in das Gesicht des Boxers gespien. In diesem Moment wusste Mimi, dass diese Nacht nicht gut enden würde.


Der schöne Tünn, der, wie Mimi immer sagte, nicht sonderlich schön, sondern ganz im Gegenteil absonderlich hässlich war, war ein rechter Klotz, grob und brutal, und er benahm sich an diesem Abend eben so, wie er es gewohnt war, sich zu benehmen: Er fasste den Mädchen unter den Rock und verteilte lachend Backpfeifen an die jüngsten, ängstlich dreinblickenden Matrosen sowie an die ältesten Kapitäne, Männer, die sämtliche Ozeane überquert und das Kap der guten Hoffnung mehr als einmal umrundet hatte, Männer, denen die Zornesröte ob ihrer öffentlichen Demütigung in die wettergegerbten Gesichter gestiegen war und die sich gewehrt hätten, wenn sie dazu nur imstande gewesen wären. Doch ihre Muskeln waren schon seit langem schwach und leer. 

Der Boxerpoet schämte sich für den schönen Tünn, er schämte sich für die Würdelosigkeit und die stumpfe Dreistigkeit, mit der er widerfuhr, und das sagte er ihm genauso ins Gesicht: „Tünn, du magst vielleicht in deiner Oberstadt ein großer Lude mit einem Stall voller Pferdchen, einer Villa und protzigen Autos sein, doch hier, im Hafen, bist du nur ein räudiger Hund, den sie alle getrost Mensch nennen. Oder war es doch eher ein Mensch, den sie hinter vorgehaltener Hand Hund nennen?“ Tünn hatte ihn daraufhin beleidigt und ihm zuguterletzt ins Gesicht gespuckt, doch der Boxerpoet hatte für ihn nur ein bitteres Lächeln übrig. Noch war die Zeit nicht gekommen. Noch nicht.

Als der schöne Tünn keuchend an der Wand hinter Mimis Spelunke lehnte, vor sich eine junge Dirne, die gerade im Begriff war, sein Gemächt in ihre warme Mundhöhle aufzusaugen, war der rechte Zeitpunkt gekommen. Der Boxerpoet war kein schneller Junge, doch er hatte Reflexe, und in den richtigen Momenten war er imstande, sein Gewissen auszuschalten. Demnach war er aus der Dunkelheit aufgetaucht wie ein Geist, und nur eine entschlossene Bewegung später hatte er Tünns Hals mit dem Dosenöffner (aus Mimis Küche) in seiner Hand gebrochen. Die junge Dirne hatte sich indes so sehr erschrocken, dass sie, anstatt laut zu schreien, einfach zubiss, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, jedoch eingedenk der Tatsache, dass sich Tünns mehr oder weniger hartes Glied noch immer zwischen ihren Lippen und somit in ihrem Mund befand, bedeutete, dass sie Tünns mehr oder weniger hartes Glied abbiss, und das mehr oder weniger harte Glied nun in hohem Bogen durch die Luft flog und auf dem regennassen Asphalt liegen blieb, allerdings nur für einen kurzen Moment, denn dann holten es die fetten Kater, die stets unter dem Balkon hinter Mimis Spelunke marodierten.

Bald geht es weiter, das ist ein Versprechen! Mehr vom Boxerpoeten gibt's hier: http://stiffchainey.blogspot.com/

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Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.