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Mittwoch, 8. Juni 2011

die geschichte vom letzten leberhaken, und wie es dazu kam.

„Du brauchst deine Medizin!“, rief Mimi aufgeregt und wedelte mit dem Silberlöffel durch die Luft. „Du musst stärker werden, so kannst du nicht kämpfen!“

„Aber ich will nicht!“

„Ich hasse Widerworte! Halt still und schluck!“

Dass der Boxer sich aber jedes Mal aufs Neue so wehren musste, wenn sie ihm etwas Gutes tun wollte! Er war recht kräftig und es war gar nicht so leicht, ihn auf dem Stuhl festzuhalten. In der letzten Zeit hatte die Hafenmadame ihn oft festbinden müssen. Das ging aber erst, wenn sie ihm die Rumflasche über den Schädel gezogen hatte und er bewusstlos zu Boden gesackt war.

Zur Sicherheit hockte sich Mimi auf ihn, die bestrumpften Füße in seine Oberschenkel gekrallt.

„Mmmpf!“ Die Augen weit aufgerissen, starrte der Boxer sie an. Gut, dass er sich nicht bewegen konnte, der hätte ihr glatt die Fresse poliert. Mimi flößte ihm die stinkende Flüssigkeit ein und machte dabei ein besorgtes Gesicht. Mit der linken Hand hielt sie sein Kinn fest. Ach, sie sah ihn so gern an.

„Weißt du, Boxer, das tut mir mehr weh als dir.“ Sanft strich sie über seine Stirn. „Ist doch nur Lebertran.“

„Du lügst!“

„Jetzt schluck.“ Er schluckte, schüttelte sich, fletschte die Zähne und schrie „Arrrrr!!!“

„Na gut. Verfeinert mit etwas Katzenpisse und püriertem Pansen. Ist ein chinesisches Rezept!“ Die Madame lachte und wäre dabei fast vom Boxer geplumpst.

„Wie ich dich hasse, Mimi“, ächzte der große Mann. „Ich brauche Liebe, keine Katzenpisse!“

„Liebe, Liebe, Liebe ist sowieso überbewertet, erst recht vor dem Kampf!“ Mimi bleckte ihre perlweißen Zähne und hob drohend ihren Zeigefinger. „Erst recht vor diesem Kampf!“ Dann band sie ihn los, immer auf der Hut vor einem Schlag, aber der Boxer blieb ruhig.

„Jaja, recht hast du ja!“, antwortete er resigniert und griff nach seinen Bandagen.

Der Boxer hatte lange nicht mehr gekämpft. Sein letzter Kampf, den er jämmerlich verloren hatte (ein Leberhaken in der sechsten Runde schickte ihn in den Staub des Ringbodens, er stand danach nicht mehr auf) lag lange, sehr lange zurück, so lange, dass er sich fast nicht mehr daran erinnern konnte. Eigentlich hatte er nach diesem Kampf seine Handschuhe an den Nagel gehängt, endgültig an den Nagel gehängt. Er hatte sich geschworen, nie mehr in den Ring zu steigen, und dies war alleine der Tatsache geschuldet, dass er keinen weiteren Kampf in sich fühlte, sein Herz erlaubte es ihm nicht. Keine weiteren zwölf Runden mehr. Nicht einmal mehr eine einzige. Der Boxer war zwar ein aufrecht gehender, dennoch aber kein Mensch, der sich jemals von falschem Stolz hatte leiten lassen. Doch als die verweinte Mimi vor seiner Türschwelle gestanden und ihm ihr Leid geklagt hatte, konnte er nicht anders. Jetzt musste er kämpfen, und diese Entscheidung fiel ihm leicht, denn er tat es ja nicht für sich, nicht wegen seines Egos, das ohnehin schon recht ramponiert war (er hatte in der letzten Zeit ziemlich viel gesoffen und war aufgrund dessen ziemlich aufgedunsen und außer Form). Der Boxer war nämlich zuallererst ein edler Mensch, ein Mann mit Prinzipien, nicht so wie die anderen Jungs, die partout nicht zu Männern werden wollten. Er war, obschon er auch eine poetische Ader besaß und mit seinen gedrechselten Versen imstande gewesen war, einige der schönsten Frauen zu beeindrucken, im Grunde doch nicht mehr als ein Preisboxer, ein Mann also, der anderen Männern für ein wenig Geld die Knochen bricht, oder, für noch weniger Geld, sich seine eigenen brechen lässt.

Er wusste, wie das Spiel läuft, und als Mimi ihm, während Krokodilstränen über ihre besommersprosste Wange liefen, berichtete, wie Rico Gnadenthür (in der gesamten Gegend und darüber hinaus bestens bekannt als Rico, die Schmalzlocke) die Tür ihres kleinen Hauses eingetreten und ihr kaltschnäuzig mitgeteilt hatte, dass sie entweder bis zum Wochenende die Stadt verlassen oder ihm aber ein entsprechendes Entgelt, das ihr ein dauerhaftes Bleiberecht sichere, zahlen solle, wusste er, was zu tun war.

Es war nebelig und nieselte leicht, als der Boxer das Gym in den Docks aufsuchte, um mit seinem ehemaligen Trainer zu sprechen, dem legendären Pausbackenjohnny. Pausbackenjohnny hatte in seinem Gym einige echte Champs trainiert und nie sonderlich große Stücke auf den Boxer gehalten, da dieser sich seinem unsteten Lebenswandel nie ganz entziehen konnte (und außerdem hatte seine Rechte nie genügend Wucht besessen), doch er mochte ihn als Menschen, und deswegen hatte er ihm all diese Kämpfe auf Kleinringveranstaltungen organisiert, brutale Gemetzel ohne technische Finessen, nur die Sonny Listons der Vororte, die aufeinander einprügelten für wenig Ruhm und noch weniger Moneten. Und obwohl der Boxer nie über eine sonderlich gute Technik verfügte, besaß er doch ein großes Herz, und das mochten die Leute, sie liebten es regelrecht, wenn er nahezu ohne Deckung aus seiner Ringecke stürmte und die Gegner unter einem Schlaghagel begrub.

Pausbackenjohnny trainierte gerade mit einem jungen, vielversprechenden Bantamgewicht an der Boxbirne, als er den Boxer erblickte. Niemand nannte ihn hier „den Boxer“, was selbstverständlich war, denn hier, in Pausbackenjohnnys Gym, waren sie ja alle Boxer. Hier nannten sie ihn „den Dichter“, auch, weil er hier weniger wegen seiner Boxkünste als viel eher wegen der martialisch klingenden Verse, die er den Kämpfern vor ihren großen Fights auf die Mäntel zu schreiben pflegte, berühmt war. Pausbackenjohnny sah nicht einmal auf, er wusste, warum der Dichter gekommen war. Es ging, wie meistens, wie immer, entweder um Geld oder um Liebe, manchmal um beides.
In ruhigem Tonfall erläuterte der Dichter, nur unterbrochen von den krachenden Jabs, mit denen das vielversprechende Bantamgewicht die Boxbirne bearbeitete, Pausbackenjohnny seine, beziehungsweise Mimis Lage. 

„Sie braucht“ – krachender Jab- „unbedingt das Geld“ -krachender Jab- „sonst macht Rico, die Schmalzlocke ihr den...“ -krachender Jab- „...Garaus, garantiert!“ Pausbackenjohnny nickte, ohne aufzusehen. 

“Freitag Abend“, antwortete er, gefolgt von einem krachenden Jab, „kämpft Pitter's Nas, vielleicht bekomme ich dich auf die Undercard!“ Der Dichter hatte genickt, sich umgedreht und das Gym verlassen.


Mimi lag auf ihrem Bett, quer, so dass ihre Beine und die Füße an der Seite herunterhingen. Sie trug ein Unterhemd, das sie dem Boxer mal von der Wäscheleine geklaut hatte. Das Hemd war voller Flecken, rotbraun, wie Blut oder Rost. Oder wie Gulaschsuppe. Wahrscheinlich aber war es Blut. Der Boxer war ein harter Kerl. Er lachte selten, vielleicht lag das daran, dass er drei Menschenleben auf dem Gewissen hatte und ihn die Erinnerungen daran quälten. Vielleicht hatte er auch einfach nur keinen Humor.

Die Madame mochte ihn. Er war ihr Freund und Verbündeter im Hafen und noch nie hatte er ihr wehgetan, egal, wie sehr sie ihn quälte. Was sie beizeiten so gern tat, weil sie diesen Ausdruck in seinem Gesicht liebte, wenn sich seine Augenbrauen vor Schmerz zusammenzogen, seine Lider flackerten und die Mundwinkel zuckten. Als er noch kämpfte, hatte sie manchmal seine Wunden gesäubert und verbunden und es dabei nie versäumt, mindestens einmal den Daumen in das Blutige, Pulsierende zu drücken. „Oh nein, es tut mir so leid, das wollte ich nicht, verzeih!“, hatte sie jedes  Mal gesagt, ganz zerknirscht, und sich heimlich über die Lippen geleckt.

Natürlich wusste der Boxer, dass Mimi eine Lügnerin war. Dass sie ihm die Unterhemden von der Wäscheleine klaute und es liebte, ihre Lederhandschuhfinger in Wunden zu drücken. Aber er hatte sich an die verrückte Madame gewöhnt. Ihre Kapriolen amüsierten ihn und einmal, als ihm das Herz wegen dieser Bardame mit den purpurnen Wangen zu bersten drohte, hatte sie Kuchen für ihn gebacken und ihm Schlaflieder gesungen, damit er Ruhe fand. Als er schlief, war Mimi das kleine schwarze Buch aufgefallen, das aus seiner Hosentasche lugte.

Sie hatte seine Geschichten verschlungen, jeden Buchstaben und jeden holprigen Vers. Nie hätte sie gedacht, dass jemand mit einer solchen Mördervisage so etwas Schönes schreiben  könnte.

Und nun würde der Boxer, der eigentlich ein Dichter war, für sie kämpfen.

Ihn anzulügen fühlte sich gar nicht gut an.


Fortsetzung folgt. Bald, bald.

Die Geschichten von Mimis Boxerfreund gibt es hier: http://stiffchainey.blogspot.com/
Er nennt sich Stiff Chainey, und ihr werdet ihn und die verstörende Welt in seinem Kopf lieben, da bin ich mir sicher. Wenn nicht, gibt's einen Leberhaken oder Lebertran mit Katzenpisse. Auf jeden Fall aber was mit Leber!

1 Kommentar:

  1. Ich möchte Dir sagen, dass ich! endlich! ein! Buch! haben möchte. Eure Geschichte ist ein Anfang. Schätzken, ehrlich: Du kannst schreiben. Es macht Freude, das zu lesen. Deine Worte sind Bilder.

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ich.

Mein Bild
Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.