ihr.

Follow this blog with bloglovin

Follow mimi vom hafen

Dienstag, 29. November 2011

kirschhirsch und die leckmuschel.

Das Draußen vor dem Fenster sah dunkelgrau und unsauber aus, so, als hätte jemand ein Glas mit Wasserfarbenbrühe über die Straße und die Häuser gekippt und dann mit dem Ärmel drübergewischt. Mimi vom Hafen saß im Schneidersitz auf einem Kissen vor dem Ofen und sang sich selbst eine schräge Melodei, als es an der Tür klopfte.

„Besuch? Um diese Uhrzeit?“ Die Madame trottete, noch immer schief singend, zur Tür und linste durch den Türspion.
Ein Mann in Briefträgeruniform stand da mit einem Paket in der Hand und hüpfte von einem Bein aufs andere. 

„Ja bitte?“ rief Mimi durch die verschlossene Tür.
„Ein Paket für Madame Mimi vom Hafen. Eilzustellung!“
„Ein Paket? Was ist denn drin?“
„Woher soll ich das denn wissen?!?“ Der Postbote schien empört.
„Na, wer hat’s denn geschickt?“
„Kein Absender.“
Die Madame riss die Tür auf und dem verdutzten Mann das Paket aus der Hand. 

„Verzeihen Sie bitte. Aber ich bin so schrecklich ungeduldig.“ Dann knallte sie ihm die Tür vor der Nase zu und widmete sich dem Paket. Erstmal schütteln und lauschen. „Scheint was Kleines drin zu sein“, grübelte Mimi, „der Karton ist ganz leicht und drinnen rappelt’s.“ Sie umfasste das Paket mit beiden Händen, lief in die Küche und schlitzte den Karton mit dem Fleischermesser auf.

Eine Leckmuschel. 

„Was soll ich denn mit einer Leckmuschel?“ Da entdeckte Mimi den Brief, der ganz bescheiden zu unterst im Karton lag. „Liebes Madamchen“, stand da geschrieben. „Schon lange beobachte ich, was du so treibst und schreibst. Und ich muss dir gestehen, dass ich mir Sorgen um dich mache. So kann das doch nicht weitergehen mit dir. Eine elende Lügnerin bist du geworden, dein ganzes Leben ist auf wilden Fantastereien aufgebaut.“

„Das ist nicht wahr“, dachte da die Madame und kraulte ihren Bart. 

„Keine deiner Geschichten ist wahr! Du spielst dich auf, spielst feine Madame und bist doch nichts weiter als ein verrücktes, zerzaustes Ding. Verlangst Anstand und gute Manieren von anderen, weißt aber nicht mal, wie man Moral buchstabiert. Nimmst anderen den Mann, die Frau, das letzte Hemd ohne mit der Wimper zu zucken. Sagst, der Boxer wäre dein Freund, dabei würdest du ihn an manchen Tagen für einen Teller Kartoffelsuppe mit Essig verscherbeln. Prahlst mit Lässigkeit und Furchtlos-Sein und erschrickst dich jeden Abend vor deinem eigenen Schatten! Du lügst dir dein Leben so zurecht, wie es dir grad passt und so etwas ist verwerflich!“

Mimi schluckte. Was da geschrieben stand, stimmte. Nun ja. Manches. Den Boxer hätte sie allerhöchstens für eine fette Gans mit Rotkohl und Klößen verschachert. Dann zerriss sie den Brief, es interessierte sie nicht, was da noch an frechen Anschuldigungen kommen würde. Außerdem stand nicht mal ein Name auf dem Papier.

„Was soll ich denn tun?“ Mimi seufzte mit sich selbst um die Wette. „Mich der glanzlosen Realität mit ihren gelbgrauen Raucherfingern und dem schlechten Atem stellen? Mich dem Dunkel des Hafens ergeben und ebenso lebensmüde umher irren wie die anderen, die es hierher verschlagen hat? Ha! Von wegen! Nicht mit mir. Wenn ich lügen muss, um dem Leben im Hafen mehr Glamour, mehr Sex, mehr Pink zu verleihen, dann mache ich das. Wenn ich auf einer Kanonenkugel durch die Straßen reiten will, mache ich das, wenn ich den Hirsch mit dem Kirschbaumgeweih abknallen will, um ein Festmahl zuzubereiten, soll es so sein. Entschuldigung, Kirschhirsch. Die Gedanken sind frei. Hieß es nicht so?“

Sie griff in den Karton und nahm die Leckmuschel heraus. Wozu die nur gut sein sollte? Dann fiel ihr ein, dass die Omama einst erzählt hatte, Muscheln und Perlen würden die Wahrheit und die Reinheit symbolisieren. 

Mimi drehte das weiße Gebilde hin und betrachtete das glänzende, zuckrige Rot in der Mitte. Die Wahrheit sah verführerisch aus. Und sie duftete nach Erdbeere. Die Madame leckte dran und dachte: „Schmeckt nach nichts.“

Mit der angeschleckten Leckmuschel schlurfte sie ans Fenster, sah raus in die Brühe und beobachtete die mit Pailletten bestickten Einhörner, die mit den Pennern auf der Straße Hüpfkästchen spielen. „Ich wette“, flüsterte Mimi ins Leere, „die Einhörner gewinnen.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

ich.

Mein Bild
Madame Mimi vom Hafen und ihre in Rum getränkten Lügengeschichten.